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Zwischen Lähmung und Bürgerkrieg: Der Libanon und der Syrienkonflikt

Der Libanon befindet sich derzeit in einem politischen Schwebezustand. Staatliche Institutionen versagen, während sich die Sicherheitslage verschlechtert und das Land in konfessionell geprägte Konfliktzonen zerfällt. Der Syrienkonflikt verschärft die Spaltung des Landes in einem bedrohlichen Maße. 

Im Libanon sind der nationale Zusammenhalt und das Vertrauen in den Staat heute zweifellos geringer denn je. Das libanesische Volk erlebt täglich, wie sich die Sicherheitslage verschlechtert, wie das Land in konfessionell geprägte Konfliktzonen zerfällt und wie sämtliche staatliche Institutionen vollständig gelähmt sind.

Die labile politische Lage im Libanon wird vor allem unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit gesehen, dies kann jedoch nur bedingt erklären, warum die Situation heute gefährlicher ist als in den vergangenen Jahren. Nicht nur erleben die Bürgerinnen und Bürger, dass es vermehrt zu gewalttätigen Zwischenfällen in verschiedenen Landesteilen kommt, sie sehen auch, dass die politische Klasse das Land in eine Sackgasse geführt hat, da sie nicht fähig oder nicht gewillt ist, auch nur den geringsten Kompromiss einzugehen. In der Vergangenheit haben die Politiker immerhin versucht, den Anschein zu wahren, der libanesische Staat funktioniere, aber selbst das ist heute nicht mehr der Fall.

In diesem Artikel wird die Frage behandelt, wie der Konflikt in Syrien die seit bereits acht Jahren völlig verfahrene politische Lage im Libanon weiter verschärft hat, das heißt die gegenseitige Blockade der von der Zukunftsbewegung angeführten Allianz des 14. März und der von der Hisbollah geführten Allianz des 8. März. Im Einzelnen geht es darum, dass staatliche Institutionen zusammenbrechen und konfessionelle Konflikte aufflammen sowie um die Frage, ob der Libanon sich am Rande eines neuerlichen Bürgerkriegs befindet.

Was in Syrien auf dem Spiel steht

Niemand hatte geglaubt, der Libanon könne auf Dauer von der Revolution in Syrien unberührt bleiben. Angesichts der vielschichtigen und engen Verbindungen zwischen den beiden Ländern ist dies auch gar nicht möglich. Seit 1990 und bis Ende 2004 hatte das syrische Regime einen Konsens zwischen den zahlreichen politischen Lagern, religiösen Gruppen und ehemaligen Warlords im Libanon aufrecht erhalten und dabei mittels einer Politik des Teilens und Herrschens sämtliche Gruppierungen in Schach gehalten.

Der Streit um die Verlängerung der Amtszeit von Präsident Émile Lahoud, eines engen Verbündeten Syriens, im Jahr 2004 ließ erste Bruchstellen in diesem von außen aufgezwungenen Konsens sichtbar werden. Sowohl Walid Dschumblat, der Führer der Drusen, als auch eine Reihe unabhängiger Abgeordneter und Rafik Hariri (der als Premierminister zurückgetreten war) stellten sich gegen eine solche Verlängerung. Durch Drohungen und Druck brachte man schließlich Abgeordnete der Zukunftsbewegung dazu, für eine Verlängerung zu stimmen, aber Dschumblats Lager sowie eine Reihe weiterer Abgeordneter verweigerten sich den Wünschen Assads und stimmten dagegen.

Die Hisbollah, die Amal-Bewegung und weitere Verbündete Assads stimmten hingegen für eine Verlängerung – und so nahm die politische Spaltung, mit der wir es derzeit zu tun haben, ihren Lauf. Als Hariri einige Monate später ermordet wurde, zementierte dies die Spaltung der Lager zwischen einerseits der Allianz des 14. März, unter Führung von Saad Hariri, dem Sohn von Rafik Hariri, und andererseits der Allianz des 8. März unter Führung der Hisbollah. Das Regime Assads, das nun keine militärische Präsenz im Libanon mehr hatte, wurde nur von einem der beiden Lager unterstützt, denn die Allianz des 14. März wurde zu seinem erbitterten Gegner und beschuldigte es, hinter der Ermordung Hariris und anderer bekannter Persönlichkeiten der Allianz des 14. März, wie Pierre Gemayel und Gebran Tueni, zu stecken.

Die syrische Revolution und der anschließende Bürgerkrieg haben den Gegensatz zwischen den beiden politischen Lagern nur weiter verschärft. Der Volksaufstand gegen Baschar al-Assad führte unausweichlich dazu, dass sich die Zukunftsbewegung auf die Seite der syrischen Opposition, die Hisbollah auf die Seite Assads schlug. Zwar unterzeichneten die beiden Lager, vermittelt durch den Präsidenten, im Juni 2012 die Erklärung von Baabda, in der sie zusicherten, sich nicht in den Konflikt in Syrien einzumischen, mit der Realität hatte dies jedoch wenig zu tun.

Für beide politischen Lager steht viel auf dem Spiel, und das Schicksal der Hisbollah ist untrennbar mit dem Schicksal des Assad-Regimes verknüpft.

Die Zukunftsbewegung

Für die Zukunftsbewegung unter Saad Hariri stellt der Aufstand in Syrien die Chance dar, ein für alle Mal den Einfluss Assads abzuschütteln, den Einfluss der Hisbollah vor Ort und in der Region zurückzudrängen, und das politische Gleichgewicht zugunsten der Zukunftsbewegung zu verschieben. Hariri hoffte möglicherweise, dass sich eine neue Regierung in Syrien bilden würde, eine Regierung mit sunnitischer Mehrheit, die in der Region wie international dieselben Loyalitäten hätte wie die Zukunftsbewegung. Viele Sunniten gingen deshalb über die Grenze nach Syrien, um sich am Kampf der Opposition zu beteiligen. Ende 2012 wurde zudem bekannt, dass Okab Sakr, ein Abgeordneter der Zukunftsbewegung, mit Mitteln aus den Golfstaaten (vermutlich aus Saudi Arabien), Waffenlieferungen an die Opposition in Syrien organisierte.

Saad Hariri wollte der Serie von Demütigungen, die sein Lager durch die Hisbollah erlitten hatte, ein Ende setzen. Darunter das Scheitern seiner Regierungskoalition im Januar 2011, als Walid Dschumblat ins Assad-freundliche Lager überlief. Oder die Niederlage bei Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und der Hisbollah in Beirut im Mai 2008, zu denen es kam, nachdem die von der Allianz des 14. März angeführte Regierung versucht hatte, das private Kommunikationsnetzwerk der Hisbollah zu zerschlagen.

Die Erinnerung an diese Ereignisse grub sich tief in die Psyche von Hariris Partei und der Sunniten allgemein ein, sah man darin doch eine militärische Niederlage, die ihnen die Hisbollah in den eigenen, sunnitischen Bezirken Beiruts zugefügt hatte. Auch die anschließenden Verhandlungen in Doha waren für die Hisbollah ein Erfolg, denn die Gruppe konnte nicht nur ihre umfangreichen Waffenbestände behalten, ihr wurde auch bei der Regierungsbildung eine Sperrminorität von einem Drittel zugestanden – genug, um sämtliche Entscheidungen, welche die Regierungskoalition der Allianz des 14. März traf, blockieren zu können.

Die Hisbollah

Für die Hisbollah ist ein Sieg des Assad-Regimes gegen die Opposition von entscheidender Bedeutung, denn nur so kann die Gruppe sicherstellen, dass sie weiterhin Waffen über syrisches Gebiet erhält und ihre Machtposition im Libanon erhalten bleibt. Die Hisbollah benötigt ein solches Gleichgewicht in der Region, um sich gegen Bedrohungen abzusichern – die nicht allein von Israel ausgehen, sondern auch von arabischen Ländern, die Hisbollahs Politik ablehnen.

Als Generalsekretär Hassan Nasrallah eingestand, dass Hisbollah-Kämpfer gemeinsam mit Truppen Assads um die strategisch wichtige Stadt Qusair kämpften (ein wichtiger Durchgangsort für Waffenlieferungen an die Hisbollah), musste er wissen, dass dies im Libanon zu heftigen Reaktionen gegen seine Organisation führen würde, und zwar nicht allein von Seiten der Sunniten und Christen, sondern auch von seinem Verbündeten Michel Aoun, dem Anführer der Freien Patriotischen Bewegung. Um aber ihre strategische Stellung abzusichern, riskiert Hisbollah sogar, das in der Region gewonnene Ansehen als Schutzmacht gegen Israel zu verlieren, und stattdessen auf Seiten eines brutalen Diktators in den Kampf zu ziehen.

Die Art, in der Nasrallah die Einmischung der Hisbollah in den Konflikt in Syrien rechtfertigte, hatte einen konfessionellen Unterton. So stellte er die Schlacht um Qusair als bewussten Präventivschlag gegen sogenannte „Takfiris“ dar, das heißt gegen islamische Extremisten (wobei er die Sprache des Assad-Regimes übernahm, das die syrische Opposition als islamistische Terroristen bezeichnet). Die Hisbollah werde, so Nasrallah, nicht abwarten, bis diese Kräfte in den Libanon einmarschierten und dort die Hisbollah angreifen. Man werde stattdessen selbst präventiv in Syrien zuschlagen, um so den Libanon zu verteidigen.

In einer Fernsehansprache am 14. Juni 2013 umriss Nasrallah die Frontlinien zwischen der Hisbollah und der Zukunftsbewegung als er sagte, die Zukunftsbewegung habe sich viel früher als die Hisbollah in den Krieg in Syrien eingemischt (obgleich das Engagement der Hisbollah das der anderen Kräfte bei weitem übersteigt). Implizit setzte er so die Zukunftsbewegung mit Extremisten in Syrien gleich und ließ durchblicken, Hisbollah bekämpfe in Syrien ihre politischen Gegner im Libanon. Wörtlich sagte er: „Vor Qusair ist nach Qusair“ und beschwor, Hisbollah werde weiterhin an der Seite Assads kämpfen. Dass der Libanon derzeit ohne Regierung ist (die Regierung von Nadschib Mikati, der die Hisbollah angehörte, trat im März 2013 zurück), befördert ein solches Vorgehen der Hisbollah, da die Gruppe so freier agieren kann. Folglich konnte die Hisbollah offen zugeben, am Kampf um Qusair teilgenommen zu haben, ohne deswegen politische Konsequenzen fürchten zu müssen.

Der Konflikt in Syrien springt auf den Libanon über

Nasrallahs provokantes Eingeständnis hatte im Libanon fast unmittelbare Folgen, denn die wegen des Syrienkonflikts ohnehin erhöhten Spannungen entluden sich nun in mehreren Regionen, teils gleichzeitig, in bewaffneten Auseinandersetzungen. Nasrallah wusste genau, auf seine Worte würde Gewalt folgen. Die Zukunftsbewegung deckt militante islamistische Sunniten zumindest in einem gewissen Maße und, so wird vermutet, versorgt sie auch mit Waffen. An drei potentiellen Brennpunkten der Gewalt findet heute bereits ein Bürgerkrieg im Kleinen statt, häufig ausgetragen von Stellvertretern, nämlich in Tripoli, der Bekaa-Ebene (beides Gebiete in Grenznähe, in denen der Syrienkonflikt besonders spürbar ist) sowie in Sidon, wo, wie in den anderen genannten Regionen, ein empfindliches Gleichgewicht zwischen den Konfessionen besteht. Heikler wird die Sicherheitslage noch dadurch, dass die Libanesische Armee zumindest teilweise das hohe, landesweite Ansehen eingebüßt hat, das sie als pluralistische, integrative Institution genoss – und aufgrund dessen ihr viele Menschen im Libanon für lange Zeit ausgesprochen loyal und patriotisch zur Seite standen. In den vergangenen Jahren hat sich die Armee schwer damit getan, in Fällen, in denen sie eingreifen musste, ausreichend neutral vorzugehen. Für manche Sunniten gilt die Armee inzwischen als Verbündeter der Hisbollah, das heißt, als eine Kraft, die nicht als neutraler Vermittler auftrittt, sondern Partei ist. [1]

Bricht der libanesische Staat auseinander?

Gleichzeitig haben die Institutionen des libanesischen Staates, eine nach der anderen, versagt und ihre Glaubwürdigkeit verloren. Gegenwärtig sind die meisten, wenn nicht alle staatlichen Institutionen des Libanons gelähmt. Das Land hat seit dem Rücktritt Mikatis im März 2013 keine Regierung – mutmaßlich trat er zurück, da man sich nicht über die Verlängerung der Amtszeit von Polizeichef Aschraf Rifi (der der Zukunftsbewegung nahesteht) einigen konnte. Rifi ging im April 2013 in den Ruhestand, und dem designierten Premierminister Tamam Salam gelingt es seither nicht, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Die politischen Lager im Libanon konnten sich zudem nicht auf eine Reform des Wahlrechts einigen und, da der Stichtag für Neuwahlen im Juni 2013 näherrückte, beschlossen die Parlamentarierer beider Seiten, die Amtszeit des gegenwärtigen Parlaments bis November 2014 zu verlängern.

Ein Einspruch gegen diese Verlängerung, den Präsident Michel Sleiman beim Verfassunggericht eingelegt hatte, scheiterte, da die entsprechende Kammer des Gerichts unter politischem Druck nachgab und das Quorum, das für einen Richterspruch notwendig ist, bei seinen Sitzungen nie erreichte. Der Versuch, eine Sitzung des Parlaments abzuhalten, auf der über mehr als 50 ausstehende Gesetzgebungsverfahren gesprochen werden sollte, scheiterte unlängst, da einige Parteien eine solche Sitzung sowie die von Parlamentspräsident Nabih Berri vorgeschlagene Tagesordnung für verfassungswidrig halten. Der Militärrat, zuständig für Entscheidungen innerhalb der Armee, ist nahezu handlungsunfähig, da mehrere Mitglieder in den Ruhestand gegangen sind oder dies demnächst tun werden. Der Oberkommandierende der Streitkräfte, General Jean Kahwagi wird voraussichtlich im September 2013 aus dem Dienst ausscheiden – und auch hier gibt es typischerweise keine Einigkeit über eine Verlängerung seiner Amtszeit oder über einen Nachfolger.

Die Menschen im Libanon sind es gewöhnt, dass sich die Bildung einer Regierung und das Gerangel über die Besetzung hochrangiger Positionen lange hinziehen. Besorgnis erregte jedoch die Verlängerung der Wahlperiode des Parlaments (die viele an die Bürgerkriegszeit von 1975-1990 erinnerte, in der die Amtszeit des Parlaments regelmäßig ohne Wahlen verlängert wurde) und die Unfähigkeit des Verfassungsgerichtes, über den Einspruch des Präsidenten in dieser Sache zu entscheiden.

Indem sie den Wahltermin verschob, zeigte die politische Klasse, dass für sie Konflikte in der Region wichtiger sind als die Bedürfnisse und Wünsche im Libanon, und dass konfessionelle Krisen stets an erster Stelle stehen. Sie zeigte zudem, dass es dem Libanon an Souveränität mangelt, und dass das Schicksal des Landes eng mit den Entwicklungen in Syrien verbunden ist. Solange sich die politische Lage in Syrien nicht geklärt hat, ist die politische Elite nicht fähig, über innere Angelegenheiten zu entscheiden. Die sogenannten „Sicherheitserwägungen“, die man anführte, um die Verlängerung der Wahlperiode zu rechtfertigen, wurden wie äußere Angelegenheiten behandelt, auf die die Politiker im Lande keinerlei Einfluss haben – und das, obgleich die Hisbollah auf Seiten des syrischen Regimes kämpft, die Zukunftsbewegung die Rebellen unterstützt und die Niederschlagung des Aufstands in Tripoli eine Sache des politischen Willens ist.

Die Verschiebung der Wahlen entschärft die gegenwärtige Krise keineswegs, im Gegenteil. Die Parlamentsabgeordneten haben lediglich beschlossen, ihre Amtszeit zu verlängern, jedoch nicht, den verbalen und militärischen Kampf gegeneinander einzustellen. Hinzu kommt, dass eben die politische Klasse, der es nicht gelang, Neuwahlen auszurichten, im März 2014 einen neuen Präsidenten wählen und sich vor November 2014 auf ein neues Wahlgesetz einigen muss.

Das Verfassungsgericht hat seine Glaubwürdigkeit eingebüßt

Präsident Michel Sleiman hatte, um die Verfassung und die Legitimität der staatlichen Institutionen zu wahren, gegen das Gesetz zur Verlängerung der Wahlperiode beim Verfassungsgericht Einspruch eingelegt. Unterstützt wurde seine Klage von der Freien Patriotischen Bewegung. Trotz der Erwartungen vieler zivilgesellschaftlich engagierter Menschen sowie vieler Bürgerinnen und Bürger wurde das Verfassungsgericht mit schon fast niederschmetternder Vorhersehbarkeit Opfer des politischen Drucks von außen, und es gelang dem Gericht nicht, das Quorum (acht der zehn Mitglieder) zu erreichen, das für eine Entscheidung erforderlich ist. Die beiden schiitischen Mitglieder des Gerichts sowie das eine drusische Mitglied wurden von Nabih Berri bzw. Walid Dschumblat unter Druck gesetzt und nahmen an den Sitzungen, die das Gericht vor dem Stichtag für eine Entscheidung anberaumt hatte (dem 20. Juni 2013), nicht teil – und somit wurde mit Datum vom 20. Juni die Verlängerung der Wahlperiode amtlich. Das Verfassungsgericht legte hierbei nicht die erforderliche Unabhängigkeit der Justiz an den Tag und wurde so, statt zu einer Lösung, zu einem Teil des Problems. Die Funktion des Gerichts, ja selbst sein Fortbestehen sind heute alles andere als sicher, da die Angehörigen der Kammer nicht bereit sind, ihre Rolle als Richter über die ihrer konfessionellen Loyalität zu stellen.

Das Gespenst eines Bürgerkriegs?

Wäre es zu den geschilderten Ereignissen, den bewaffneten Zusammenstößen, dem Zusammenbruch staatlicher Institutionen, jeweils nur für sich gekommen, das heißt, wäre die innere Sicherheit bedroht gewesen und es hätte aber eine arbeitsfähige Regierung gegeben – oder auch umgekehrt, wäre das Parlament gelähmt, die Sicherheitslage jedoch stabil gewesen, dann wäre die Gefahr eines offenen Kriegs nicht allzu hoch. So jedoch sind Symptome eines allgemeinen Zusammenbruchs auf sämtlichen Ebenen zu beobachten - sei es der Sicherheitsapparat oder seien es die politischen Institutionen. Da diese Ereignisse zeitgleich und in schneller Folge stattfinden, sieht es so aus, als befände sich der Libanon an der Schwelle zum Zerfall, zu einem sich ständig wandelnden, langen Konflikt, einem Zustand irgendwo zwischen Krieg und Frieden. Der Libanon befand sich wiederholt am Rande eines Bürgerkriegs, der jedoch abgewendet werden konnte, zuletzt im Mai 2008, als durch Vermittlung aus dem Ausland ein Übergangsabkommen zwischen den beiden Lagern ausgehandelt wurde. Heute hingegen stellt sich die Lage in der Region anders dar. Die ausländischen Mächte, welche die Allianz des 14. bzw. des 8. März unterstützen – insbesondere sind dies Saudi Arabien und der Iran – sind nicht gewillt, einen versöhnlichen Kurs einzuschlagen, denn beide sind erheblich in den Konflikt in Syrien verstrickt und heizen somit die Gegensätze zwischen ihren Verbündeten im Libanon weiter an.

Eine Eskalation wird sich nur abwenden lassen und dauerhafter Frieden wird nur dann möglich sein, wenn der politische Wille vorhanden ist und wenn insbesondere die Hisbollah und die Zukunftsbewegung erkennen, dass Dialog besser ist als Gewalt. Beide Seiten – und das gilt speziell für die Hisbollah – müssen die Erklärung von Baabda einhalten und sich aus dem Konflikt in Syrien heraushalten. Nur dann kann die Souveränität und die territoriale Unversehrtheit des Landes gewahrt werden. Der Libanon kann nicht in einem Schwebezustand verharren, in dem sämtliche Parteien abwarten, wie der Konflikt im Nachbarland ausgehen wird – ein Konflikt, der sich über Jahre hinziehen kann. Eine international ausgehandelte diplomatische Lösung des Syrienkonflikts ist ebenfalls in weite Ferne gerückt. Sämtliche Parteien sollten sich deshalb darum bemühen, den nationalen Dialog wiederzubeleben. Teil dieses Dialogs sollten ernsthafte Gespräche über Ziele und Identität des Libanons sowie über die Waffen der Hisbollah sein.


Hinweis: Der Text ist erstmals in englischer Sprache auf der Webseite unseres Büros Naher Osten und Nordafrika in Beirut erschienen. Er kann auch in einer Langfassung heruntergeladen werden (PDF, 9 Seiten, 70 KB)


Fußnote:
[1] Die beiden anderen bedeutenden staatlichen Sicherheitsapparate haben einen offen politischen Charakter: Es sind die Internal Security Forces (ISF), die nach 2005 gestärkt und erweitert wurden, und die bis vor kurzem von Aschraf Rifi, einem engen Verbündeten Hariris und Saudi Arabiens geleitet wurden, sowie das General Security Directorate, welches von Abbas Ibrahim geleitet wird, der der Hisbollah und dem Assad-Regime nahesteht.